Der VIP im Anti-Aging-Tiegel

Ständig präsentiert die Kosmetikforschung neue Wirkstoffe. Aber es gibt nur wenige, die sich auf Dauer im Tiegel unentbehrlich machen. Einer davon ist Retinol.

Vor über 111 Jahren löste der amerikanische Biochemiker Elmer McCollum das größte Rätsel seiner Karriere: Sechs Jahre hatte er an der University of Wisconsin das Wachstum von Kühen studiert und festgestellt, dass die Tiere mit Futterzusätzen aus Eigelb besonders gut gediehen. Im Jahr 1913 fand er das kleine Molekül, das den großen Unterschied machte, und nannte es: Retinol. Bekannt wurde der Vitalstoff als Vitamin A. Nach und nach fanden Wissenschaftler heraus, dass es eine zentrale Rolle für das Zellwachstum und damit auch für die Struktur und Gesundheit der Haut spielt. 1943 bestätigte eine erste Studie die Wirksamkeit von Retinol bei Akne. Dermatologen, die das Mittel einsetzten, stellten in jahrzehntelangen Beobachtungen fest, dass die Haut ihrer Patienten nach der Behandlung nicht nur klarer, sondern auch straffer und glatter wirkte. Verpackt in Cremes und Seren bekämpft Retinol seit Ende der 1990er-Jahre Falten und Pigmentflecken. „Inzwischen ist Retinol der am besten durch Studien gesicherte Anti-Aging-Wirkstoff weltweit“, sagt Elisabeth Kohrs. Der Haut tut Retinol also – ganz ohne Frage – gut. Und auf die Fragen, die bleiben, hat die Kosmetik-Expertin und Inhaberin der Women Lounge klare Antworten.

  

Retinol und Vitamin A sind unterschiedliche Begriffe für denselben Wirkstoff, oder?

Retinol und Vitamin A werden oft synonym verwendet, obwohl das nicht ganz korrekt ist. Richtig ist, dass Retinol die am häufigsten vorkommende Form von Vitamin A ist. Während der reine Wirkstoff extrem licht- und luftempfindlich ist, also schnell oxidiert und damit zerstört wird, ist Retinol stabiler. Aber es gibt in der Kosmetik nicht nur Retinol… Vitamin A kommt in mehreren Formen vor.

 

Welche Formen sind das, und wo liegen die Unterschiede?

Neben Retinol gibt es Retinsäure, Retinal und Retinylpalmitat. Retinsäure ist die aktive Form von Vitamin A. In ihr steckt die wahre Anti-Aging-Power. Allerdings kann sie die Haut reizen und zu Irritationen wie Rötungen, Brennen, Trockenheit und Schuppung führen. Retinsäure kommt daher meist nur in Arzneimitteln zur Behandlung von Akne oder Schuppenflechte zum Einsatz. Inhaltsstoff ist hier oft Tretinoin, und es ist verschreibungspflichtig.

 

Welches Vitamin A ist für den Creme-Tiegel am besten geeignet?

Die Formen, auch Derivate oder Retinoide genannt, die erst in der Haut in die aktive Retinsäure umgewandelt werden. Dadurch sind sie in der Regel nicht nur besser verträglich, sondern geben dem Vitamin A auch die nötige Stabilität, damit es seine Wirksamkeit nicht verliert. Das trifft vor allem auf verkapselte Retinoide zu, die besser vor Oxidation geschützt sind.

 

Welche Retinoide gibt es?

Wie schon erwähnt, ist Retinol die bekannteste und am häufigsten verwendete Form von Vitamin A. Retinal (Retinaldehyd) ist eine Stufe näher an Retinsäure, wird also von der Haut schneller und effektiver in den aktiven Wirkstoff verwandelt als Retinol, ist dafür aber etwas reizender. Eine besonders milde Form ist das Retinylpalmitat. Es wirkt langsamer und ist weniger irritierend, dafür sind die Ergebnisse aber auch nicht so deutlich.

 

Woraus werden die Vitamin-A-Derivate gewonnen?

Sie werden synthetisch hergestellt, um eine gleichbleibende Qualität und Wirksamkeit zu gewährleisten.

 

In welcher Konzentration wirkt Retinol am besten?

Hier gibt es eine Neuerung: In der Europäischen Union dürfen Retinolprodukte für die Gesichtspflege ab 2025 maximal 0,3 % Retinol enthalten. Für Körperlotionen liegt der Grenzwert bei 0,05 %. Damit soll eine zu starke Anreicherung von Vitamin A vermieden werden, die nicht nur durch Hautpflegeprodukte, sondern auch durch Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel erzielt werden kann. Ein Übermaß an Vitamin A führt erwiesenermaßen zu gesundheitlichen Problemen wie Hautirritationen oder Leberschäden. Übrigens: In den USA gibt es derzeit noch keine so strengen gesetzlichen Vorgaben für Retinol in Kosmetikprodukten. Dort sind weiterhin Produkte mit höheren Konzentrationen, wie etwa 1 % Retinol, frei erhältlich.

 

Welche Jahreszeit eignet sich am besten für eine Retinol-Behandlung?

Die beste Zeit, um Retinol neu in die Hautpflege-Routine zu integrieren, ist der Herbst oder Winter. Da Retinol die Haut empfindlicher gegenüber Sonnenlicht macht, ist es besonders wichtig, in den Sommermonaten vorsichtig zu sein. Im Herbst und Winter sind die UV-Strahlen schwächer, was das Risiko von Hautschäden verringert. Ein täglicher Sonnenschutz mit mindestens LSF 30 ist aber auch jetzt noch ein Muss, um Lichtschäden wie Pigmentflecken vorzubeugen.

 

Was gibt es bei der Anwendung zu beachten?

Da Retinol potenziell irritierend wirken kann, sollte man – speziell bei empfindlicher Haut – langsam mit der Anwendung beginnen, etwa ein- bis zweimal pro Woche, und die Häufigkeit dann allmählich steigern. Wichtig ist auch, Retinol nicht mit anderen irritierenden Wirkstoffen zu kombinieren. Säuren wie AHA oder BHA und Vitamin C sollten nicht gleichzeitig mit Retinol angewendet werden, um Reizungen zu vermeiden. Da Retinol die Haut austrocknen kann, ist es wichtig, eine reichhaltige Feuchtigkeitspflege zu verwenden.

 

Für wen ist Retinol nicht geeignet?

Schwangere und stillende Frauen sollten Retinol aufgrund seiner stark zellregenerierenden Wirkung meiden. Vorsicht ist auch bei sehr empfindlicher oder stark gereizter Haut, wie etwa bei Rosacea, geboten. Wer unsicher ist, sollte auf jeden Fall vorher ärztlichen Rat einholen.

 

Es gibt ja inzwischen pflanzliche Alternativen zu Retinol. Sind die genauso wirkungsvoll?

Eine der bekanntesten pflanzlichen Alternativen zu Retinol ist Bakuchiol, ein Extrakt aus den Samen der indischen Babchi-Pflanze. Studien zeigen, dass Bakuchiol ähnliche Anti-Aging-Effekte wie Retinol haben kann, ohne die Nebenwirkungen wie Reizungen und Trockenheit. Weitere pflanzliche Alternativen sind Hagebuttenöl, das natürliche Retinoide enthält, sowie Carotinoide aus pflanzlichen Quellen. Diese Alternativen sind sanfter zur Haut, erreichen jedoch nicht ganz die gleiche Wirksamkeit wie Retinol.